Heute Tipp #8: Hab‘ ich das verstanden? Oder male ich noch ab?
 
Ich habe neulich in einem Förder-Arbeitsheft für LRS folgende Aussage gelesen: „…richtiges Schreiben wird durch Schreiben erlernt- insbesondere durch Abschreiben! Diese Kenntnis gilt als gesichert und hat weiterhin Bestand…“ Falls der Autor mal durch Zufall auf meinen Beitrag aufmerksam wird, fühle er sich bitte mit der nächsten Frage angesprochen: „Geht’s noch????“
 
Was dieses Förder-Arbeitsheft nämlich komplett unbeachtet lässt, ist, dass Abschreibübungen nur wenig Wert für die Sicherung der Rechtschreibung haben und hinzukommend eher schaden statt zu helfen, wenn sie nicht richtig durchgeführt werden. Und diese Aussage ist in Studien mit lernschwachen Kindern ausreichend belegt. Aber darauf hinweisen tut der Herausgeber nicht...
 
Aber ohne Abschreiben geht es häufig halt doch nicht. Es gibt das Abschreiben, welches wir zum Einprägen/Festhalten von Informationen nutzen. Da hilft nur Lesen und Verstehen. Und es gibt das Abschreiben, welches genutzt werden soll um die Rechtschreibung zu verbessern. Ich persönlich halte davon nicht wirklich viel.
 
Aber wie kann das Kind es richtig machen um dabei die Rechtschreibung zu lernen? Die Kinder müssen den Prozess, der in ihrem Körper beim Abschreiben vorgeht, verstehen um ihn richtig durchzuführen! Und wenn Abschreibtexte dazu dienen sollen, die Rechtschreibung zu verbessern, dann bitte richtig!
Meinen Schülern erkläre ich das wie folgt: Wenn Kinder nicht wissen, wie sie Texte korrekt „abschreiben“ um dabei die Rechtschreibung zu lernen, werden die Wörter quasi nur Buchstabe für Buchstabe nachgemalt. Und dabei entsteht kein Lernprozess. Der ganze Vorgang begrenzt sich auf das Wahrnehmen mit dem Auge. Ich sehe es dort und schreibe es dort. Kinder mit einer guten visuellen Wahrnehmung können sich teilweise so zwar mit der Zeit Wortbilder einprägen, aber ein größerer Teil der Kinder kann dies eben auch nicht. Und eine Analyse der Wortstruktur und Wortgliederung findet dabei auch nicht statt.
 
Damit das Abschreiben dazu beiträgt, dass sich die Rechtschreibung verbessert, muss zwischen den oben genannten Punkten (ich sehe den abzuschreibenden Text und meinen geschriebenen Text) eine Verbindung (ein sogenannter Umkodierungsprozess) hergestellt werden. Diese stellt man sich am besten als Zahnräder vor.
 
Und so geht’s:
 
1. Ich lese mir EINEN Satz durch. So lange, bis ich den Sinn darin verstanden habe und lasse mir dabei zur Not auch helfen, um es zu verstehen.
 
2. Dann Stück für Stück bearbeiten:
- EIN abzuschreibendes Wort lesen/auffassen
- Ich spreche es mir in Silben vor
- Ich schreibe es mitsprechend in Silbenblöcken auf (Re-gen-bo-gen)
 
3. Und kontrolliere jede Silbe SOFORT nachdem ich sie aufgeschrieben habe.
 
4. Wenn der Satz komplett aufgeschrieben ist, lese ich diesen (mein Schriftstück) nochmal durch und starte eine Kontrollrunde.
 
Dieser ganze Vorgang ist eine Kompensationsmaßnahme, welche auf die zu stärkenden Bereiche (die Zahnräder) einwirkt. Mit der Zeit entsteht dieser Prozess ohne Hilfe von außen und gelingt automatisch, was dazu führt, dass aus der Silbensprache-/schrift eine Erarbeitung von ganzen Wörter wird.
 
Da dieser Prozess jedoch sehr aufwendig und energieraubend ist und wirklich sehr viel Ausdauer erfordert, übe ich es mit Kindern nur, wenn die Abschreibtexte sehr stark fehlerbehaftet sind und die Kinder, aus welchen Gründen auch immer, mehr als durchschnittlich viel abschreiben müssen. Solche Übungen motivieren die Kinder nämlich nicht wirklich, weil sie von ihnen als Strafarbeit empfunden werden. Und das häufig nur, weil sie den Sinn darin nicht verstehen.